Ein Tochterunternehmen des Stifterverbandes Alle Seiten

Ein Tochterunternehmen des Stifterverbandes

Pressemitteilungen

"Künstliche Intelligenz kann die Ungleichheit im Gesundheitswesen überwinden"

Mit dem Ziel, medizinische Künstliche Intelligenz (KI) zu einem Allgemeingut zu machen und die weltweit umfassendste und inklusivste offene Datenbank für den Kampf gegen Brustkrebs zu schaffen, hat Bart de Witte die Hippo AI Foundation gegründet.

Sehr geehrter Herr de Witte, Sie gelten als Experte für digitale Transformation im Bereich Gesundheit. Woraus besteht der Transformationsprozess und an welchem Punkt befinden wir uns zurzeit?

Die Auswirkungen des digitalen Wandels werden in allen Bereichen des Gesundheitswesens spürbar sein und dazu beitragen, den Zugang zur Versorgung zu erleichtern und die Qualität zu verbessern. Die digitale Transformation kann auch dazu beitragen, bahnbrechende medizinische Entwicklungen zu beschleunigen. Wo wir stehen, ist schwierig zu sagen, weil dann müsste ich mich auf einen Beginn und Endpunkt festlegen. Und der Endpunkt sollte mit einem Ziel oder einer Vision verbunden sein. Das ist etwas, das derzeit nicht definiert ist und je nach den Interessen der Beteiligten immer unterschiedlich und nicht aufeinander abgestimmt ist.

Sie haben sich in Ihrem Berufsleben unter anderem bei SAP und IBM intensiv mit dem Thema Künstliche Intelligenz (KI) in der Medizin beschäftigt und schließlich 2019 die Hippo AI Foundation gegründet – wie verlief Ihr persönlicher Transformationsprozess von "Profit" zu "Non-Profit"?

Es gibt viele Technologien, die uns helfen könnten, Innovationen zu beschleunigen und gleichzeitig die Medizin zu verbessern. Aber ich denke, die meisten Experten sind sich einig, dass die Künstliche Intelligenz eine der Schlüsseltechnologien sein wird, die das Potenzial hat, Innovationen zu beschleunigen und zugleich die Ungleichheit im Gesundheitswesen zu überwinden. Wie die meisten Leser wissen, braucht es dafür viele und gute Daten. Während meiner Arbeit bei IBM habe ich ein schnell wachsendes Interesse an qualitativ hochwertigen Daten festgestellt. Es wird oft gesagt, dass Daten der Sauerstoff sind, der das Feuer der digitalen Wirtschaft anfacht. Man könnte man aus meiner Sicht aber auch sagen, dass Daten das Wasser sind, das die Ungleichheiten im Gesundheitswesen auslöscht. Dafür muss man die Daten als digitale Gemeingüter betrachten. 

Derzeit findet ein unsichtbarer Kampf um die Territorien des digitalen Raums statt, in dem im Nanosekundentakt Kriege um den Besitz großer Teile der Datenlandschaft geführt werden. Während die feudalen Besitzer des digitalen Raums noch immer die Lüge einer digitalen Utopie aufrechterhalten, geht der Kampf gegen die Autokratie der wenigen, besonders raffgierigen Megakonzerne weiter. 

Es liegt an jedem von uns zu entscheiden, ob wir wollen, dass Daten das Feuer oder das Wasser sind, das Innovationen im Gesundheitswesen antreibt. Und genau aus diesem Grund habe ich die gemeinnützige Hippo AI Foundation gegründet, bei der ich mich auf den Aufbau von Patientengemeinschaften konzentriere, die dazu beitragen, Daten und KI zu einem digitalen Gemeingut zu entwickeln.

Foto: Bayern Innovativ
Bart de Witte

 
Sie haben die Hippo AI Foundation in der Rechtsform einer gemeinnützigen Unternehmergesellschaft gegründet. Warum haben Sie sich für dieses Konstrukt entschieden?

Ich musste hier erst lernen und habe viele Gespräche geführt. Unter anderem mit Ulrike von Pilar. Sie war Mitbegründerin und jahrelang das Gesicht der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" (MSF) in Deutschland. Oder mit Jim Zemlin, der die Open Source Linux Foundation in San Francisco leitet. All diese Gespräche brachten mich auf die Idee, dass ich die Stärken von "Ärzte ohne Grenzen" mit den Grundlagen von Open-Source-Software verbinden könnte. Das Ganze sollte wasserdicht gebaut sein. Dies führte zu dem Entschluss, die Hippo AI Foundation als gemeinnützige Unternehmergesellschaft zu gründen. 

Ziel der ersten Stiftungsinitiative "Viktoria One Zero" ist, dass mithilfe von Daten eine KI entwickelt wird, die Brustkrebs erkennen kann, bevor sich ein Tumor bildet. Welche und wie viele Daten werden benötigt, um die KI zu trainieren, und welchen Herausforderungen begegnen Sie bei der Sammlung von Daten?

Da ich mit einem neuen Konzept Pionierarbeit leistete, musste ich viele Hypothesen aufstellen, die es zu testen galt. Können wir ein Bewusstsein in der Bevölkerung schaffen? Werden wir Spenden erhalten? Können wir einen großen Industriepartner dazu bringen, sich auf unser neues Lizenzmodell für offenes Wissen einzulassen, und – was am wichtigsten ist – bekommen wir Daten? Heute habe ich Antworten auf all diese Fragen und habe Zugang zu Daten, die wir Ende dieses Jahres zusammenführen und mit unserer neuen Lizenz veröffentlichen werden.

Für welche Krankheitsbilder eignet sich KI besonders? Und wie sehen Nutzungsmöglichkeiten in Ländern aus, denen es an digitaler Infrastruktur fehlt?

KI ist wie ein Baby, das noch laufen lernen muss. Aber wenn sie mit hochwertigen und anonymisierten Daten trainiert wird, kann sie heute bereits eingesetzt werden, um Expertenwissen in unterversorgten Bereichen zu erweitern. KI ist heute etwa gut in der Mustererkennung von Bildern, einer Disziplin, die für die Diagnostik extrem wichtig ist und skaliert werden kann, um die diagnostische Präzision in unterversorgten Gebieten zu erhöhen. Diese Gebiete verfügen vielleicht nicht über die aktuellen Daten, um diese Systeme aufzubauen, aber sie haben die Infrastruktur, um KI einzusetzen.

Daten sind das Wasser, das die Ungleichheiten im Gesundheitswesen auslöscht. Dafür muss man die Daten als digitale Gemeingüter betrachten.

Bart de Witte

Gründer der Hippo AI Foundation

 
Die von Hippo AI gewonnenen Daten sollen über ein kostenloses Lizenzmodell in anonymisierter Form allen relevanten Akteuren zugänglich gemacht werden. Welche Bedeutung hat der Aspekt "Vertrauen" in Ihrer Arbeit – gerade mit Blick auf die Datenskandale der großen Technologiekonzerne?

Die EU-Kommission hat 2021 eine neue Verordnung vorgeschlagen: den "Data Governance Act" (DGA). Dieser enthält Regelungen, die unter anderem mit "Datenaltruismus" überschrieben sind. Wir haben bereits vergangenes Jahr mit der EU-Kommission gearbeitet und sind bestrebt, die erste registrierte datenaltruistische Organisation zu werden, die ohne eine Daten-Monetarisierung auskommt, um Interessenskonflikte auszuschließen. Eine datenaltruistische Organisation muss einen jährlichen Tätigkeitsbericht mit Informationen über ihre Tätigkeiten, die datenverarbeitenden Personen, die verfolgten Zwecke von allgemeinem Interesse, die technischen Mittel, ihre Ergebnisse und ihre Einnahmequellen erstellen.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit von Hippo AI mit Kliniken, Forschungseinrichtungen und Unternehmen?

Wir verstehen uns als Beschleuniger für die Entwicklung des digitalen Gemeinwohls und haben bereits wichtige Partnerschaften mit Kliniken geschlossen. Wir haben uns sehr gefreut, dass wir auch ein "Big Pharma"-Unternehmen wie AstraZeneca für unser erstes Projekt gewinnen konnten. Solche Kooperationen stärken die digitale Souveränität unserer europäischen Unternehmen. Holger Hoos, Professor für Künstliche Intelligenz an der RWTH Aachen und Vorsitzender des Verwaltungsrats von CLAIRE, sieht in der Hippo AI Foundation Europas beste Chance, der Übernahme unseres Gesundheitssystems durch große kommerzielle Akteure entgegenzuwirken und einen nachhaltigen Zugang sicherzustellen.

Die Hippo AI Foundation war Finalist der Falling Walls Konferenz 2020, 2021 hat sie den Deutschen KI-Preis gewonnen. Welche Möglichkeiten eröffnen solche Auszeichnungen der noch jungen Stiftung für ihre zukünftige Arbeit?

Es gibt uns mehr Visibilität, die dann zu neuen Partnerschaften führt. So haben wir etwa gerade einen Zusammenarbeitsvertrag mit CLAIRE AI unterschrieben, einem paneuropäischen Bündnis, das Europa als Standort für exzellente Forschung und Innovation im KI-Bereich etablieren will.

Foto: Berlin Partner
Die Hippo AI Foundation wurde 2021 mit dem Deutschen KI-Preis ausgezeichnet.

 
Ob in Ihrer Tätigkeit als Stifter, Speaker, Berater oder als Fellow des European Institute of Exponential Technologies and Desirable Futures, futur.io: Sie beschäftigen sich pausenlos mit der Gestaltung der Zukunft. Erlauben Sie uns daher bitte die persönliche Frage, mit welchem Vorsatz Sie in das Jahr 2022 gegangen sind.

Nach einer längeren Vorbereitungszeit möchte ich in diesem Jahr Hippo AI skalieren. Dazu bin ich bereits im Gespräch mit einem ehemaligen Gesundheitsminister aus Holland und mit einem globalen Netzwerk von 6.500 Frauen aus der Gesundheitswirtschaft. Auch privat werde ich mich vergrößern, denn meine Frau ist zum zweiten Mal schwanger, und ich freue mich riesig auf unseren Familienzuwachs.

Dieses Interview erschien zuerst in Stiftung&Sponsoring, Ausgabe 1/2022.

Bart de Witte ist einer der führenden Experten für die digitale Transformation im Gesundheitswesen. Er arbeitete acht Jahre für IBM – zuletzt als Director Digital Health bei IBM für Deutschland, Österreich und die Schweiz – und zuvor neun Jahre für SAP. Im März 2019 gründete er mit der Hippo AI Foundation mit Sitz in Berlin die erste globale NGO für Open-Source-basierte Künstliche Intelligenz in der Medizin. Er ist außerdem Fakultätsmitglied der Gründungsfakultät des Europäischen Instituts für exponentielle Technologien und wünschenswerte Zukunft, futur.io – ein Institut, das sich darauf konzentriert, alternative europäische Strategien für die gegenwärtige postmoderne Welt zu finden, um eine lebenswertere Zukunft mit größerem sozialem Nutzen zu schaffen.

Sie möchten Stiftung&Sponsoring kennenlernen?

Als führende Grantmaking-Zeitschrift im deutschsprachigen Raum widmet sich Stiftung&Sponsoring dem gesellschaftlich wichtigen Feld gemeinnütziger Aktivitäten aus der Sicht der Stifter, Spender und Sponsoren, der Macher und Mitarbeiter: Mit viel Praxisorientierung und hoher fachlicher Kompetenz, national und international. Das Fachmagazin erscheint alle zwei Monate als Printversion und als eJournal. Herausgegeben wird es vom Deutschen Stiftungszentrum (DSZ) im Stifterverband und dem Institut für Stiftungsberatung Dr. Mecking & Weger GmbH.