Michèl Gehrke
Pressesprecher
Karl und Veronica Carstens-Stiftung
Am Deimelsberg 36
45276 Essen
T 0201 56305-61
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Die Karl und Veronica Carstens-Stiftung stellt insgesamt 900.000 Euro für drei Projekte in der Demenz-Forschung bereit. Evaluiert werden Verfahren der Integrativen Medizin im Hinblick auf ihr Potenzial zur Prävention der Erkrankung und Verlangsamung ihres Fortschreitens sowie zur Belastungslinderung pflegender Angehöriger. Die Projekte sind angesiedelt an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, dem Universitätsklinikum Tübingen und der Universitätsmedizin Essen.
Schon jetzt sind neurokognitive Erkrankungen die häufigsten Erkrankungen ab dem 60. Lebensjahr. Für die nächsten Jahrzehnte wird jedoch sogar mit einer Verdreifachung der Zahl der Menschen mit Demenz gerechnet. Schätzungen gehen bis zum Jahr 2050 von einem Anstieg der Fälle auf ca. 153 Millionen weltweit aus. Diese alarmierende Prognose verdeutlicht den dringenden Handlungsbedarf – zumal bislang keine kurativen pharmazeutischen Interventionen für Demenz existieren.
Prof. Dr. Holger Cramer, Prof. Gerhard Eschweiler und Prof. Inga Krauß vom Universitätsklinikum Tübingen legen den Schwerpunkt auf die Prävention und setzen schon bei einer Vorstufe zur Demenz an, der leichten kognitiven Beeinträchtigung (engl. Mild Cognitive Impairment, MCI). Bei einer MCI zeigen sich zum Beispiel erste Gedächtnisschwächen, allerdings noch ohne wesentliche Einschränkung des Alltags. Hier liegt ein kritisches Zeitfenster vor, denn bei einem größeren Anteil der Betroffenen entwickelt sich die MCI innerhalb von fünf Jahren zu einer Demenz. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Tübinger Instituts für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung, der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie und der Medizinischen Klinik/Abteilung Sportmedizin planen eine randomisierte, Placebo-kontrollierte Studie zur Wirkung von Yoga, High Intensity Interval Training (HIIT) und Intermittierender Hypoxie/Hyperoxie Exposition (IHHE) auf die kognitive Funktion.
Die moderne Hatha-Yoga-Praxis umfasst Körperhaltungen (Asanas), Atemtechniken (Pranayama) und Meditation (Dyana). Beim HIIT handelt es sich um eine besondere Form des Ausdauertrainings, bei der sich kurze hochintensive Belastungen, in diesem Falle auf einem Fahrradergometer, mit dazwischen-geschalteten Erholungsphasen abwechseln. Bei der IHHE wiederum werden die Patientinnen und Patienten über eine Gesichtsmaske zyklisch verschiedenen Luftmischungen ausgesetzt, einer sauerstoffarmen Umgebung (Hypoxie) und einer sauerstoffreichen Umgebung (Hyperoxie). Gemeinsames Wirkprinzip der drei Interventionen, die jeweils über eine Dauer von zwölf Wochen durchgeführt werden sollen, ist eine nachhaltige Verbesserung der Hirndurchblutung und der Mitochondrienfunktion durch Veränderungen des zerebralen Sauerstoffangebots. Als Placebo-Kontrolle dient ein vierter Arm, in welchem die Probandinnen und Probanden nur zum Schein eine IHHE erhalten, tatsächlich aber Umgebungsluft atmen. Insgesamt 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit MCI-Diagnose sollen in die Studie eingeschlossen werden, die Projektdauer ist auf zwei Jahre festgelegt.
Eine weitere vielversprechende Maßnahme, die das Risiko einer Demenz verringern oder sogar den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen könnte, ist das Fasten. PD Dr. Julian Hellmann-Regen und sein Team an der Charité – Universitätsmedizin Berlin konzentrieren sich dabei spezifisch auf die Alzheimer-Erkrankung. Bei Alzheimer sammeln sich schädliche Proteinablagerungen, Beta-Amyloid-Plaques und Tau-Fibrillen, im Gehirn an. Fasten unterstützt den Körper bei der sogenannten Autophagie, einem Reinigungsprozess, in dem die beschädigten Zellbestandteile abgebaut werden. Darüber hinaus stabilisiert Fasten den Glukosespiegel, erhöht die Insulinsensitivität, stärkt die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Stressachse (HPA-Achse) und kann helfen, Entzündungen zu reduzieren – Faktoren, die mit dem Entstehen und dem Fortschreiten von Alzheimer in Verbindung stehen.
PD Dr. Hellmann-Regen und Team planen daher eine randomisierte kontrollierte Studie mit 40 Patientinnen und Patienten im Frühstadium einer Alzheimer-Erkrankung, die die Wirksamkeit eines fünftägigen Saftfastens auf die Hirngesundheit untersucht. Der Fokus liegt dabei auf der Beeinflussung des biologischen Hirnalters (im Vergleich zum chronologischen Hirnalter) sowie der Stressverarbeitung. Die Probandinnen und Probanden lösen hierzu unter MRT-Überwachung Rechenaufgaben. Zusätzlich sollen Blutuntersuchungen Aufschluss unter anderem über das Plasma-Proteom, also den Einfluss des Fastens auf die Proteinzusammensetzung, geben. Mittels maschinellen Lernens werden die erfassten Biomarker miteinander in Beziehung gesetzt und ausgewertet. Um auch Schlüsse auf die Langzeit-Effektivität des Fastens bei Alzheimer zu ermöglichen, sieht die Studie eine Nachbeobachtung über sechs Monate vor. Die Ergebnisse des Projektes werden bis 2028 erwartet.
Die Progression von Demenz wird nicht nur von biologischen Faktoren beeinflusst, sondern auch von der Qualität der Pflege, die die Betroffenen erfahren. Die Bindung zu einem geliebten Menschen wirkt sich positiv aus. Angehörige von Demenzkranken stehen jedoch oft vor emotionalen, körperlichen, finanziellen und sozialen Herausforderungen, die zu einer enormen Stressbelastung, zu Erschöpfung und zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen können. Tatsächlich erfolgen Heimeinweisungen zu einem großen Prozentsatz nicht aufgrund objektiver Pflegebedürftigkeit der Patientinnen und Patienten – sondern aufgrund von Überlastung der Angehörigen.
Das Team um Dr. Heidemarie Haller, Prof. Dr. Gustav Dobos, Univ.-Prof. Dr. Christoph Kleinschnitz und Dr. Iris Trender-Gerhard der Universitätsmedizin Essen entwickeln aus diesem Grund ein Mind-Body-Programm zur Förderung der Gesundheitskompetenz und mentalen Gesundheit von Pflegepersonen. Ziel ist es, die Resilienz der Angehörigen zu stärken und ihre wahrgenommene Belastung, die sogenannte Caregiver Burden, zu reduzieren. Dabei werden Pflege- und Selbsthilfestrategien aus der Traditionellen Europäischen Medizin (TEM) sowie der achtsamkeitsbasierten Mind-Body-Medizin vermittelt: Massagetechniken an Hand und Fuß, schlaffördernde Wickel und Auflagen, sanfte Schröpfkopfmassage, Aromatherapie und Akupressur. Diese Maßnahmen zielen darauf ab, das Nervensystem zu regulieren und ermöglichen eine Zuwendung, die über alltägliche Pflegeroutinen weit hinausgeht. Ergänzt um Yoga und craniosacrale Selbsthilfetechniken sollen sie den Pflegenden helfen, Stress abzubauen. In einer randomisiert-kontrollierten Studie wird dieses Konzept mit einer reinen Psychoedukation verglichen. Ein Vorteil des komplementärmedizinischen Konzepts könnte in seiner ausgeprägteren körperlichen Dimension und die damit verbundene, unmittelbare Erfahrung der Selbstwirksamkeit liegen. 140 Probandinnen und Probanden, die Angehörige mit Demenz zuhause pflegen und eine mindestens mäßige Stress-Belastung aufweisen, werden die Intervention über sechs Monate durchführen, die Nachbeobachtungszeit beträgt zwölf Monate. Das Projekt ist auf drei Jahre angelegt.
Die gemeinnützige Karl und Veronica Carstens-Stiftung wurde 1981 vom damaligen Bundespräsidenten und seiner Ehefrau gegründet. 40 Jahre nach ihrer Gründung ist die Carstens-Stiftung eine bedeutende Wissenschaftsorganisation auf dem Gebiet der Naturheilkunde und Komplementärmedizin und hat mit einer Fördersumme von 40 Millionen Euro über 300 Forschungsprojekte unterstützt. Sie setzt sich für die Verankerung von Naturheilkunde und Komplementärmedizin in der medizinischen Forschung und Patientenversorgung ein. Hauptaufgaben sind die Förderung wissenschaftlicher Forschung und des medizinischen Nachwuchses sowie die fundierte Aufklärung über Anwendung und Nutzen naturheilkundlicher und komplementärmedizinischer Verfahren.
Pressesprecher
Karl und Veronica Carstens-Stiftung
Am Deimelsberg 36
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