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Drei Jahre später – Pandemiefolgen für Kinder der "Generation Corona"

01.08.2023

Die COVID-19-Pandemie brachte die Welt zum Stillstand. Im Frühjahr 2020 begannen die ersten massiven Einschränkungen des alltäglichen Lebens. Kinder und Jugendliche waren durch Schließungen von Schulen und Freizeiteinrichtungen sowie Kontaktbeschränkungen in besonderer Weise betroffen. Erste Studien zeigen gravierende, pandemiebedingte Bildungsrückstände und psychosoziale Belastungen von Familien. Eine interdisziplinäre Juniorforschungsgruppe unter der Supervision von Professorin Ulrike Ravens-Sieberer beschäftigt sich am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf mit der Erfassung der Pandemiefolgen und deren Bewältigung. Unterstützt wird sie dabei durch eine Förderung der Stiftung Wissenschaft in Hamburg.

Die Juniorforschungsgruppe befasst sich mit den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Kinder und Jugendliche. Welche Forschungsschwerpunkte sind dabei von besonders großem Interesse?

Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer, Forschungsdirektorin und Leiterin der Forschungsgruppe "Child Public Health": Zu den Forschungsschwerpunkten der Juniorforschungsgruppe zählt vor allem die Erfassung der pandemiebedingten Langzeitfolgen für die körperliche und psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Wir möchten insbesondere auch wissen, welche Kinder und Jugendlichen als Risikogruppen besonders belastet sind, welche Ressourcen ihnen bei der Bewältigung der Belastungen helfen und ihre Gesundheit stärken. Darauf basierend möchten wir evidenzbasierte Empfehlungen für zielgerichtete Ansätze der Gesundheitsförderung, Prävention und Behandlung entwickeln. Darüber hinaus veranlasst uns das Auftreten neuer Krisen, wie etwa der Ukraine-Krieg und die spürbaren Folgen des Klimawandels, unsere Forschungsfragen um die daraus entstehenden Sorgen und Zukunftsängste zu erweitern.
 

Die Untersuchung der seelischen und körperlichen Gesundheit junger Menschen ist ein sehr komplexes und facettenreiches Thema. Wie gehen Sie dabei vor?

Dr. Anne Kaman, Co-Leiterin der Juniorforschungsgruppe: Unsere Datengrundlage ist die bundesweit durchgeführte COPSY-Studie, die seit Mai 2020 durchgeführt wird. COPSY steht für Corona und Psyche. Die Studie ist eine umfangreiche Online-Befragung von mehr als 1.000 Kindern zwischen elf und 17 Jahren. Außerdem haben sich 1.500 Eltern an der Studie beteiligt. Die Kinder und Eltern beantworteten Fragen zu pandemiebedingten Belastungen, zur körperlichen und psychischen Gesundheit und Lebensqualität sowie zu Veränderungen in den Bereichen Schule, Freunde und Familie. Im Rahmen unserer Juniorforschungsgruppe konnte im Herbst 2022 bereits die fünfte Befragungswelle der Studie durchgeführt werden – weitere Befragungen sind geplant.

Foto: Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer (li.) und Dr. Anne Kaman, die Leiterinnen der Juniorforschungsgruppe

 
Neben der quantitativen Analysemethode mittels der COPSY-Studie soll auch ein systematisches Literaturreview über die Erfassung psychischer Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Krisensituationen durchgeführt werden. Wie gehen Sie dabei vor?

Leon Brouwer, Doktorand in der Juniorforschungsgruppe: Ich möchte den derzeitigen Forschungsstand zur Erfassung der im Zusammenhang mit Krisen auftretenden psychischen Belastungen bei Kindern und Jugendlichen untersuchen. Neben der COVID-19-Pandemie interessieren mich dabei auch weitere aktuelle Krisen wie der Klimawandel oder Krieg. Hierbei untersuche ich neben den verschiedenen Belastungsarten, wie etwa der Klimaangst, auch wie genau diese jeweils gemessen werden, beispielsweise mittels Skalen, Fragebögen oder Einzelitems. Dazu werden verschiedene Literaturdatenbanken verwendet, um relevante Studien zu diesem Thema zu identifizieren und zu bewerten, auch hinsichtlich der psychometrischen Qualität von den jeweilig eingesetzten Messinstrumenten. Daraus möchte ich Schlussfolgerungen für die Erfassung von krisenbezogenen psychischen Belastungen bei Kindern und Jugendlichen ableiten. Dies trägt hoffentlich langfristig dazu bei, die Gesundheit und das Wohlbefinden von jungen Menschen in Krisenzeiten besser zu verstehen und zu unterstützen.
 

In nur drei Jahren konnten Sie schon fünf Befragungswellen der COPSY-Studie durchführen. War es Ihnen bereits möglich, konkrete Ergebnisse herauszufinden?

Dr. Dipl.-Soz. Franziska Reiß, Co-Leiterin der Juniorforschungsgruppe: Ja, das konnten wir. In allen Befragungswellen zeigte sich, dass bestimmte Gruppen von Kindern und Jugendlichen besonders stark durch die Pandemie belastet wurden. Dazu gehören Kinder und Jugendliche, die sozial benachteiligt sind und zum Beispiel auf engem Raum leben oder einen Migrationshintergrund haben. Kinder und Jugendliche, deren Eltern selbst psychisch belastet sind, erleben die mit der Pandemie einhergehenden Veränderungen als besonders gravierend. Auch ein niedriger Bildungsstand der Eltern korreliert mit einer erhöhten Pandemiebelastung. Bei diesen Risikogruppen zeigte sich eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit, Ängste, depressive Symptome und andere psychische Auffälligkeiten im Vergleich zu Gleichaltrigen zu entwickeln.

Foto: Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Ann-Kathrin Napp, Doktorandin in der Juniorforschungsgruppe

 
Welche sozialen Charakteristika die physische und psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu Pandemiezeiten besonders negativ beeinflussen, konnten Sie anschaulich identifizieren. Gibt es auch günstige Rahmenbedingungen?

Ann-Kathrin Napp, Doktorandin in der Juniorforschungsgruppe: Die Auswertungen der im Zuge der COPSY-Studie bislang erhobenen Daten konnten in der Tat bestimmte persönliche, familiäre und auch soziale Ressourcen von Kindern und Jugendlichen identifizieren, die ihre psychische Gesundheit in der Pandemie und darüber hinaus stärken können. So zeigen Kinder und Jugendliche deutlich seltener Symptome wie Niedergeschlagenheit, Ängste und eine geringe Lebensqualität, wenn sie das Gefühl haben, gehört zu werden und Probleme selbst lösen zu können, optimistisch sind und sich in ihrer Familie unterstützt und sicher fühlen. Da Kinder in Krisenzeiten wie der Pandemie besonders auf ihre Familien angewiesen sind, sind niedrigschwellige Unterstützungsangebote für Familien besonders wichtig.
 

Die COVID-19-Pandemie ist immer seltener in den Medien vertreten. Neue Krisen stehen nun im Mittelpunkt. Ist auch in Zukunft die Forschung zur krisenbedingten seelischen und körperlichen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen von Bedeutung?

Karoline Habermann, Doktorandin in der Juniorforschungsgruppe: Ja, auf jeden Fall. Kinder und Jugendliche werden stets durch ihre Umwelt beeinflusst. Dass sie durch die COVID-19-Pandemie physisch und psychisch besonders belastet wurden und weiterhin belastet sind, ist eindeutig bewiesen. Die junge Generation ist gesellschaftspolitisch interessiert und wird auch weiterhin durch aktuelle globale Entwicklungen beeinflusst werden. Die Forschung zur krisenbedingten seelischen und körperlichen Gesundheit ist also auch in Zukunft von besonderer Bedeutung, um Kinder und Jugendliche in einer dynamischen Gesellschaft kontinuierlich und bestmöglich in ihrer Entwicklung unterstützen zu können.

Foto: Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Die Stiftung Wissenschaft in Hamburg wurde 2006 von Frau Marlis Bauer Hollmann errichtet. Zweck der Stiftung ist die Förderung von Wissenschaft und Forschung in Hamburg. Seit 2021 fördert die Stiftung die Juniorforschungsgruppe "Auswirkungen und Folgen der COVID-19-Pandemie auf die psychische und körperliche Gesundheit von Kindern und Jugendlichen" am Universitätsklinikum Hamburg.