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Post-COVID: Carstens-Stiftung weitet Forschungsförderung aus

03.08.2022

Durch die Bereitstellung von weiteren 600.000 Euro werden zwei zusätzliche Forschungsprojekte ermöglicht, die wirksame Therapien aus dem Bereich der Komplementären und Integrativen Medizin (KIM) beim Post-COVID-Syndrom identifizieren sollen. Eines leitet Prof. Dr. Gustav Dobos, Universitätsklinikum Essen, das andere Dr. Michael Jeitler, Charité Berlin. Beide setzen auf eine Steigerung der Selbstwirksamkeit der Betroffenen, um die Symptombelastung zu verringern. Im Idealfall liefern sie daneben neue Erkenntnisse über das wissenschaftlich immer noch wenig durchdrungene Phänomen.

Carstens-Stiftung (Logo)

Patientendaten aus aller Welt zeigen, dass nach akuter SARS-CoV-2-Infektion die Gesundheit noch Monate durch Spätfolgen beeinträchtigt sein kann – und das nicht nur bei Patientinnen und Patienten, bei denen ein Krankenhausaufenthalt notwendig war, sondern auch nach milden Verläufen. Die Prävalenzen von länger als sechs Monaten schwanken zwischen 18 und 67 Prozent. In den bisherigen Untersuchungen finden sich mehr als 50 vielfältige und unspezifische Symptome. Zwar lassen sich diese zu Clustern zusammenfassen, etwa Fatigue, kardiopulmonalen Symptomen (zum Beispiel Dyspnoe), neurokognitiven Symptomen (zum Beispiel Konzentrationsstörungen), Schmerzen, sensorischen Störungen (zum Beispiel Geruchsverlust) und psychischen Störungen (zum Beispiel Depression); hinreichend erklärende Faktoren für einen ursächlichen Zusammenhang sind allerdings noch nicht gefunden. Insgesamt bleibt Post-COVID damit schwer greifbar und ist in seiner Ausprägung mit sogenannten medizinisch unerklärbaren Syndromen (MUS) vergleichbar.

Potenzial der Komplementären und Integrativen Medizin

Obwohl die beschriebenen Symptome bekannten funktionellen oder psychosomatischen Diagnosen ähneln, für deren Behandlung integrativmedizinische Ansätze die mitunter beste Evidenz aufweisen, werden 91 Prozent der Patientinnen und Patienten mit MUS ausschließlich von Allgemeinmedizinern und Fachärzten für somatische Medizin betreut. "Naturheilkundlich-regulationsmedizinische Ansätze bergen somit das Potenzial, sowohl Therapieoptionen als auch Erklärungen für Symptome zu finden, die zum jetzigen Zeitpunkt durch ein rein biophysiologisches Krankheitsmodell nicht zu fassen sind", sagt Prof. Dr. Gustav Dobos, Direktor des Zentrums für Naturheilkunde und Integrative Medizin des Universitätsklinikums Essen.

Was man nämlich weiß, ist, dass Symptomakzeptanz, Reduktion von Vermeidungs- und Sicherheitsverhalten, Entwicklung von Achtsamkeitsskills, Selbsthilfestrategien, Steigerung der Selbstwirksamkeit, Steigerung der physischen Aktivität und die wahrgenommene soziale Unterstützung zu den Mechanismen gehören, die die MUS-Symptomatik beeinflussen. Genau diese sind eine Domäne traditioneller Naturheilverfahren, finden sich beispielsweise in den fünf Therapiesäulen nach Kneipp: Ernährung, Bewegung, Hydrotherapie, Phytotherapie und Ordnungstherapie.

 

Projekt: Multimodales Gruppenprogramm auf Basis von Kneipp

Ein Forscherteam um Prof. Dr. Dobos und Dr. Heidemarie Haller wird in Kooperation mit Prof. Dr. Dr. Mark Stettner und Prof. Dr. Christoph Kleinschnitz aus der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Essen eine einfach verblindete, randomisiert kontrollierte Studie mit zwei Armen durchführen. Insgesamt sollen 86 Probandinnen und Probanden mit Post-COVID-Syndrom eingeschlossen und zufällig in zwei Gruppen verteilt werden.

Gruppe 1 wird ein zehnwöchiges Gruppenprogramm durchlaufen, das auf den Therapiesäulen nach Kneipp basiert. Die Probandinnen und Probanden werden einmal wöchentlich in einem Umfang von jeweils drei Stunden zusammenkommen, demnach wird es zu jeder Kneipp‘schen Säule zwei Einheiten geben. Diese beinhalten einen edukativen und einen praktischen Teil mit dem Ziel, eigene Strategien zur Krankheitsbewältigung zu entwickeln und diese aktiv in den Alltag zu integrieren. Pflanzenbasierte Vollwertkost und medizinische Tees sollen genutzt werden, um die Rekonvaleszenz zu stärken. Achtsame Bewegungseinheiten in der Natur sollen dabei helfen, die Wirkung des Tageslichts bzw. von Vitamin D auf das Immunsystem zu nutzen. Im Bereich Hydrotherapie werden Wasseranwendungen, Trockenbürstungen sowie Wickel und Auflagen zum Einsatz kommen. Es wird eine ärztliche Beratung zu pflanzenheilkundlichen Optionen bei individuellen Symptomen wie Schlafstörungen, Verdauungsbeschwerden, Schmerzen, Husten, Ängsten oder Gedankenkreisen geben. Ordnungstherapeutisch soll schließlich eine Balance der Lebensführung in beruflichen, familiären und sozialen Bereichen erleichtert werden. Hierzu werden beispielsweise Entspannungs- und Meditationsverfahren vermittelt. Um das Gelernte zu vertiefen, erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Gruppe 1 zusätzlich ein Selbsthilfebuch und "Hausaufgaben".

Gruppe 2 stellt die Kontrollgruppe dar und wird zunächst auf eine Warteliste gesetzt. In beiden Gruppen ist zu jedem Zeitpunkt jeweils die Standardtherapie (zusätzlich) erlaubt. Ebenso soll in beiden Gruppen ein Symptom- und Therapietagebuch geführt werden.

Geprüft werden soll in erster Linie, ob das Gruppenprogramm als Add-on zur Standardtherapie die Selbsthilfefähigkeiten besser steigern und die Belastung durch die Post-COVID-Symptome stärker lindern kann, als die Standardtherapie allein. Auch Parameter der Lebensqualität, der kardiovaskulären bzw. pulmonalen Leistungsfähigkeit und des sogenannten Flourishings, des "Aufblühens" der Probandinnen und Probanden als motivierte Persönlichkeiten, werden unter anderem zu vier Zeitpunkten vor, während und bis zu 16 Wochen nach Ende der Interventionsphase erfasst.

 

Projekt: Multimodales Online-Angebot und Biosignalanalyse

Einen ähnlichen Weg geht auch das zweite Forscherteam, mit einem Unterschied: Auch hier werden Grundprinzipien einer pflanzenbasierten Vollwerternährung, der Hydrotherapie nach Kneipp, naturheilkundliche Selbsthilfestrategien sowie Elemente der Ordnungstherapie und Mind-Body-Medizin vermittelt – allerdings online. "Die Studie stellt einen Prototyp für die optimale Nutzung moderner digitaler Tools in naturheilkundlichen Versorgungssituationen dar und könnte als Best-Practice-Modell für Online-Therapieansätze fungieren", sagt Dr. Michael Jeitler, stellvertretender Forschungskoordinator in der Charité Hochschulambulanz für Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin. Hierfür gibt es einen dringenden Bedarf, denn man weiß, dass in Präsenz nur ein Sechstel der Bevölkerung mit entsprechenden praxisnah vermittelten Lebensstilinterventionen erreicht wird.

Die Hypothese: Die körperliche Belastbarkeit von Patientinnen und Patienten mit Post-COVID-Syndrom verbessert sich durch eine Kombination aus naturheilkundlicher Therapie im Online-Setting und Routineversorgung stärker als durch die Routineversorgung allein. Insgesamt 120 Probandinnen und Probanden sollen in die zweiarmige, randomisiert-kontrollierte Studie eingeschlossen werden. Gruppe 1 wird über einen Zeitraum von zwei Monaten einmal wöchentlich eine Online-Schulung von jeweils 120 Minuten Dauer erhalten. Dazu wird es die Empfehlung geben, das Gelernte täglich in etwa 30-minütigen Übungen zuhause zu vertiefen. Ebenso soll ein Online-Tagebuch geführt werden. Die Beobachtungsdauer pro Patientin und Patient beträgt zwölf Monate. Die Kontroll-Gruppe 2 wird auch hier zunächst auf eine Warteliste gesetzt.

Ein Highlight des Projekts stellt eine physiologische Teilstudie dar, in welcher die Etablierung und Validierung einer Biosignal-Charakterisierung des Post-COVID-Syndroms und insbesondere der prominenten Fatigue-Symptomatik im Mittelpunkt steht. Hierzu werden bei Patientinnen und Patienten mit Fatigue gleichzeitig Herzfrequenz, Blutdruck, Atemfrequenz, Puls, elektrodermale Aktivität und Hirnaktivität gemessen. "Dieser Ansatz soll ermöglichen, die bislang schwer objektivierbaren klinischen Symptomveränderungen der Fatigue objektiv zu quantifizieren", so Dr. Jeitler. "Wir erhoffen uns ein besseres Verständnis über die Fatigue selbst sowie ihre Rolle im Post-COVID-Syndrom. Idealerweise wird dies zukünftig die Diagnose verbessern."

Darüber hinaus wird es eine eingebettete qualitative Teilstudie geben. Nach zwei Monaten werden sowohl einige Probandinnen und Probanden als auch behandelnde Hausärztinnen und Hausärzte in Einzelinterviews zu ihren Wahrnehmungen und Erfahrungen befragt, um die naturheilkundlichen Interventionen langfristig noch besser auf die Bedürfnisse und Bedarfe der Patientinnen und Patienten anpassen zu können.

 

Die gemeinnützige Karl und Veronica Carstens-Stiftung wurde 1981 vom damaligen Bundespräsidenten und seiner Ehefrau gegründet. 40 Jahre nach ihrer Gründung ist die Carstens-Stiftung eine bedeutende Wissenschaftsorganisation auf dem Gebiet der Naturheilkunde und Komplementärmedizin und hat mit einer Fördersumme von 40 Millionen Euro über 300 Forschungsprojekte unterstützt. Sie setzt sich für die Verankerung von Naturheilkunde und Komplementärmedizin in der medizinischen Forschung und Patientenversorgung ein. Hauptaufgaben sind die Förderung wissenschaftlicher Forschung und des medizinischen Nachwuchses sowie die fundierte Aufklärung über Anwendung und Nutzen naturheilkundlicher und komplementärmedizinischer Verfahren.

Pressekontakt

Michèl Gehrke

Pressesprecher
Karl und Veronica Carstens-Stiftung
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