Pharmakologische Therapieansätze sind wertvoll und in vielen Fällen ersatzlos – in manchen Fällen jedoch reicht die Wirkung von Medikamenten allein nicht aus, um dauerhaft zu helfen, oder die Nebenwirkungen bergen das Risiko von weiteren Beschwerden. In der Psychiatrie und Psychosomatik sind solche Situationen keine Seltenheit. Dr. med. Julia Siewert möchte daher das Potenzial komplementärer Verfahren bei Depressionen und dem Restless-Legs-Syndrom erschließen.
Die Anzahl depressiv Erkrankter weltweit stieg von 172 Millionen 1990 auf 258 Millionen im Jahre 2017. Das ist ein Anstieg um beinahe 50 Prozent. Ein großes Problem in Deutschland ist dabei, dass ein gravierender Anteil von Patientinnen und Patienten mit der Diagnose Depression zumindest zeitweise unterversorgt bleibt. Die Wartezeiten auf einen Therapieplatz sind lang, durchschnittlich vergehen zwischen der ersten Anfrage beim Psychotherapeuten und dem Beginn der Behandlung 20 Wochen. Erschwerend kommt hinzu, dass bei leichtgradigen Formen der Depression kein Unterschied in der Wirkung zwischen Antidepressiva und einem Placebo nachweisbar ist. Es profitiert also nur ein Teil der Betroffenen von diesen Medikamenten. Eine randomisierte kontrollierte Studie mit 40 Patientinnen und Patienten, die gerade auf einen Therapieplatz warten, soll klären, ob auch wöchentliche Hypnose depressive Beschwerden lindern kann. Diese soll in kleinen Gruppen sowie als Selbsthypnose über fünf Wochen erfolgen. Als Kontrolle wird körperliches Ausdauertraining und eine Anleitung zur Tagesstrukturierung dienen.
Häufig mit Depressionen, aber auch mit Angsterkrankungen und mit psychischer Belastung generell, ist das Restless-Legs-Syndrom assoziiert. Dieses ist meist durch schmerzhafte Missempfindungen der Beine gekennzeichnet, insbesondere bei Inaktivität, sodass sich ein beinahe zwanghafter Bewegungsdrang entwickelt. Die Linderung durch routinemäßige pharmakologische Behandlung hält oft nicht lange genug an, bei bis zu 60 Prozent der Patientinnen und Patienten kehren die Beschwerden sogar subjektiv empfunden stärker zurück. Eine randomisierte kontrollierte Studie mit 45 Probandinnen und Probanden soll daher prüfen, inwieweit Akupressur und Hydrotherapie nach Kneipp das Restless-Legs-Syndrom lindern können. Eine Gruppe wird zweimal täglich eine selbst applizierte Hydrotherapie für 10 bis 15 Minuten in Anspruch nehmen, eine weitere zweimal täglich selbstständig eine Akupressur-Behandlung an fünf Punkten mit gleicher Dauer. Eine weitere Gruppe erhält zum Vergleich die Routineversorgung. Die Studie könnte Hinweise aus der Forschung bestätigen, dass Kälteanwendungen die Symptomatik und die Schlafqualität verbessern. Für die Akupressur sind für das Restless-Legs-Syndrom bislang noch keine Daten erfasst worden, hier wird also eine Erkenntnislücke geschlossen.
Abgerundet wird das Forschungsprojekt von Dr. Siewert durch eine Querschnittsstudie zur generellen Erfassung der Anwendung von KIM (Komplementäre und Integrative Medizin) in der ambulanten Behandlung psychisch Erkrankter. Mindestens 700 Personen werden hierzu befragt. "In Deutschland gibt es bisher weder eine konkrete Darlegung und Differenzierung der Inanspruchnahme von KIM in akuter oder rehabilitativer Anwendung", so Dr. Siewert, "noch zwischen Episoden psychischer Erkrankungen."