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Global steht Resilienz vor Effizienz

Nach der Niedrigzinsphase nun die Inflation: Im Gespräch mit DSZ-Geschäftsführer Matthias Schmolz erläutert Eberhard Glöckner von Union Investment Institutional, mit welchen Herausforderungen Stiftungen bei der Vermögensanlage künftig rechnen müssen.

Matthias Schmolz: Herr Glöckner, die vom Stiftungssektor seit 2008 ersehnte Zinswende ist endlich da, aber so hatten wir uns das nicht vorgestellt: Die Inflation hat die Zinssteigerungen bislang um Längen geschlagen. Jetzt geht die Inflation endlich deutlich zurück. Werden wir für 2023 insgesamt einen positiven Realzins sehen?

Eberhard Glöckner: Nein, denn die Inflation geht nur langsam zurück. Die Güterpreise steigen zwar kaum noch, aber der Preisdruck ist vor allem im Dienstleistungssektor noch immer hoch. Das wird sich erst ab dem Spätsommer schrittweise ändern. Wir erwarten in diesem Jahr im Euroraum eine Inflationsrate von 5,5 Prozent und in Deutschland von 6,0 Prozent. Im nächsten Jahr rechnen wir sowohl im Euroraum als auch in Deutschland mit einem Rückgang der Inflation auf 2,8 Prozent. Die Rendite zehnjähriger deutscher Bundesanleihen sehen wir Ende 2023 bei 2,7 Prozent. Bei Rentenanlagen raten wir zu einer kurzen Duration, da eine Versteilerung der Zinskurve kurzfristig nicht zu erwarten ist.

Matthias Schmolz: Mit Geldpolitik hat sich die angebotsbedingte Inflation nur begrenzt beeinflussen lassen. Zudem befinden wir uns jetzt offiziell in einer Rezession. Damit ist absehbar, dass die Rufe nach einer Zinssenkung schon bald lauter werden. Kann und sollte die Europäische Zentralbank dem widerstehen, oder wird es bald zu einer neuen Zinswende kommen?

Eberhard Glöckner: Die Inflation in Deutschland ist zuletzt zurückgegangen. Doch ist der Weg zurück zur alten Inflations-Zielmarke von rund zwei Prozent noch weit und holprig. Denn der immer noch ziemlich robuste Arbeitsmarkt und entsprechende Lohnsteigerungen stehen einem schnellen Rückgang der Inflation entgegen. Außerdem gelingt es den Unternehmen, ihre Gewinnmargen besser als erwartet zu halten. Daher ist für die Europäische Zentralbank (EZB) noch keine echte Entspannung eingetreten. Nun kommt es vor allem darauf an, wie sich die Kerninflation und der Arbeitsmarkt weiter entwickeln werden.

Matthias Schmolz: Wie sehen Ihre Konjunkturerwartungen für 2023 und 2024 aus?

Eberhard Glöckner: Die weltweite Konjunktur wird erst mal schwach bleiben. Vor allem sind die schnellen Zinserhöhungen eine Belastung. Wir erwarten aber nicht, dass die Konjunktur einbricht. Gegen Ende dieses Jahres dürfte die Wirtschaft wieder Fahrt aufnehmen, nicht zuletzt wegen anziehender Investitionen. Denn der strukturelle Umbau der westlichen Volkswirtschaften mit dem Ziel einer Dekarbonisierung und der Rückbau globaler Lieferketten erfordern hohe Investitionen. Wir erwarten in diesem Jahr beim europäischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) ein Wachstum von 0,4 Prozent und 2024 von 0,8 Prozent. Für Deutschland rechnen wir im Jahr 2023 mit einem um 0,4 Prozent schrumpfenden Bruttoinlandsprodukt. Doch auch hierzulande dürfte die Wirtschaftsdynamik im nächsten Jahr wieder zunehmen.

Eberhard Glöckner, Direktor Client Relationship Management Institutionelle Kunden bei Union Investment

 
Matthias Schmolz:
Stiftungen sind per definitionem eher risikoaverse Anleger. Welchen Anlagemix empfehlen Sie derzeit für das Stiftungsvermögen? Ein langfristig ausgerichtetes Aktienportfolio, festverzinsliche Rentenpapiere, Immobilien oder gar Private Debt?

Eberhard Glöckner: Stiftungen sind zwar eher risikoavers, aber gleichzeitig auch sehr langfristig ausgerichtete Anleger. Daher können sie Schwankungen an den Kapitalmärkten, Zinsveränderungen oder die in den letzten Jahren häufigeren Krisen grundsätzlich besser aushalten. Somit empfehlen wir aktuell in Abhängigkeit von der individuellen Anlagerichtlinie der jeweiligen Stiftung eine breite Streuung über die von Ihnen genannten Anlageklassen hinweg. Dies ist im Rahmen einer Ein-Produkt-Lösung oder als Aufteilung in unterschiedliche Töpfe je Assetklasse möglich.

Matthias Schmolz: Das Deutsche Stiftungszentrum hat seine speziell auf die Bedürfnisse von Stiftungen ausgerichteten Spezialfonds, die in drei Risikoklassen eingeteilt sind, seit 2019 alle auf Nachhaltigkeit umgestellt. Wird das im institutionellen Investment weiterhin ein bestimmendes Thema bleiben, oder droht Nachhaltigkeit in Rezession und Dauerkrise zum Trade-off zu werden?

Eberhard Glöckner: Die nachhaltige Transformation der Wirtschaft ist und bleibt eine Generationenaufgabe. Hieraus resultieren auch vielfältige Anlagechancen für Investoren. Gleichzeitig ist die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien eine wichtige Ergänzung im Risikomanagement. Eine aktuelle Befragung unseres Hauses zeigt, dass institutionelle Investoren in Deutschland trotz geopolitischer Krisen und vielfältiger Kapitalmarkt-Herausforderungen nachhaltige Investments ausbauen wollen.

Matthias Schmolz: Zum Thema Vermögensanlage gehört auch der Blick auf die großen geopolitischen Trends. Alle Blicke richten sich auf China und Russland. Aber auch die USA lassen die Märkte wegen des wiederholten Haushaltsstreits, der America first-Politik, dem Inflation Reduction Act und den kommenden Präsidentschaftswahlen immer wieder aufhorchen. Auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos wurde 2023 gar schon das Ende der Globalisierung ausgerufen. Auf welche Weltordnung stellt sich Ihr Institut ein?

Eberhard Glöckner: Wir erwarten eine Neuordnung der globalen Wirtschaftsbeziehungen. Der Krieg in der Ukraine hat diese Entwicklung dramatisch beschleunigt. Die zunehmende Blockbildung zwischen dem Westen und China dürfte die Globalisierung bremsen. Denn beide Blöcke streben eine Entkoppelung an. Das betrifft strategisch wichtige Lieferketten, den Datenverkehr und vermutlich auch das Finanzsystem.

Matthias Schmolz: Friend-Shoring, das heißt die Konzentration internationaler Wirtschaftsbeziehungen auf befreundete Nationen und Regionen, gilt in einem neuen Zeitalter ökonomischer Blockbildung als ein Lösungsweg. Ist das nicht auch ein sehr kostspieliger Ansatz? Werden wir also weiter mit steigenden Preisen rechnen müssen?

Eberhard Glöckner: Der sich verschärfende Großmachtwettbewerb zwischen den USA und China führt dazu, dass Lieferketten umgebaut werden, um Abhängigkeiten zu reduzieren. Somit steht Resilienz vor Effizienz – ein Faktor, der für eine längerfristig erhöhte Inflation spricht. Wahrscheinlich ist, dass es in dieser Übergangsphase immer wieder zu Angebotsschocks kommt.

Die nachhaltige Transformation der Wirtschaft ist und bleibt eine Generationenaufgabe. Hieraus resultieren auch vielfältige Anlagechancen für Investoren.

Eberhard Glöckner

 
Matthias Schmolz:
Bei vielen Anlegern wirkt die Bankenkrise von 2008 noch immer nach. Die Vorgänge um die Silicon Valley Bank und die Credit Suisse haben zu weiterer Verunsicherung geführt. Ist das Bankensystem heute besser aufgestellt?

Eberhard Glöckner: Ganz ausgestanden ist die Krise noch nicht. So ist es durchaus möglich, dass weitere Regionalbanken in Schieflage geraten. Insgesamt ist das Bankensystem aber robust, sowohl in den USA als auch in Europa. Und Regierungen, Notenbanken und Regulierungsbehörden haben gezeigt, dass sie mit solchen Krisen erfolgreich umgehen können. Daher ist die Finanzmarktstabilität aus unserer Sicht derzeit nicht gefährdet.

Matthias Schmolz: Es gibt wohl keinen Bereich, in dem derzeit nicht auch über mögliche Folgen des Einsatzes Künstlicher Intelligenz (KI) gesprochen wird. In den sozialen Medien wird KI als überlegener Investor gepriesen. Wie gehen Sie mit dem Thema um? Welche Gefahren bringt das mit sich? Werden diese Gefahren ausreichend adressiert und kommuniziert?

Eberhard Glöckner: Das Thema Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen kam zwar bereits in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts auf, hat aber seit der Markteinführung des Chatbots ChatGPT im November 2022 deutlich an Fahrt aufgenommen. Neu ist, dass Modelle wie ChatGPT Texte in hoher Qualität in Echtzeit erstellen und menschenähnliche Konversationen führen können. Aufgrund der hohen Qualität der Ergebnisse stellt die neueste Version von ChatGPT einen technologischen Wendepunkt dar. Viele Arbeitsbereiche und Geschäftsmodelle werden sich in Zukunft wandeln oder gar obsolet werden. Dafür werden aber auch neue Anwendungen und Jobs geschaffen. Erste Analystenschätzungen gehen davon aus, dass der breite Einsatz von KI in Zukunft die gesamtwirtschaftliche Profitabilität um bis zu 20 Prozent steigern könnte. Allerdings ist die Situation in Bezug auf KI am Aktienmarkt noch sehr unübersichtlich. So ist noch nicht absehbar, welche Unternehmen als Gewinner oder Verlierer aus der aktuellen Entwicklung hervorgehen werden. Wichtig ist, nicht in eine ungebremste KI-Euphorie zu verfallen und dabei die Risiken aus den Augen zu verlieren. Mit Blick auf die Kapitalanlage sind wir nach wie vor davon überzeugt, dass moderne Technologien hierbei zwar sehr gut unterstützen, aber das menschliche Urteilsvermögen nicht ersetzen können.

Matthias Schmolz: Herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Eberhard Glöckner leitet als Direktor Client Relationship Management Institutionelle Kunden seit 2012 das Geschäft von Union Investment mit institutionellen Großkunden in Deutschland.
Zuvor war er in leitender Funktion für F&C Investments und Allianz Global Investors sowie in der Vermögensberatung der Dresdner Bank tätig. Der Diplom-Betriebswirt und Bankkaufmann ist zertifizierter DVFA Investment Analyst und Certified European Financial Analyst (CEFA).