Ein Tochterunternehmen des Stifterverbandes Alle Seiten

Ein Tochterunternehmen des Stifterverbandes

Stiftungen sind essenziell für die Zukunftsmission Bildung

Der Stifterverband startet die Zukunftsmission Bildung.
Im Gespräch erläutert Andrea Frank, stellvertretende Generalsekretärin des Stifterverbandes, was geplant ist und welche Rolle Stiftungen dabei spielen können.

Liebe Andrea Frank, gefühlt herrscht in Deutschland eigentlich immer Bildungskrise – tatsächlich wurde der Bildungsnotstand erstmals 1964 vom Pädagogen Georg Picht ausgerufen. Jetzt soll 2024 das Jahr der Bildung werden. Was ist heute anders beziehungsweise warum besteht jetzt akuter Handlungsbedarf?

Der Blick auf den Zustand des Bildungssystems ist immer geprägt vom Zeitgeist. In den 60ern wuchs das Bewusstsein, dass eine moderne Gesellschaft, eine starke Volkswirtschaft, intellektuelles Kapital braucht. Picht beklagte damals – neben einigen anderen Dingen - dass viel zu wenig junge Menschen das Abitur erlangten oder dass die Schulbildung auf dem Land sehr viel schlechter sei als in der Stadt. Diese Sorgen treiben uns heute nicht mehr um – auch weil es die kritischen Mahnungen gab und weil man mit Maßnahmen gegengesteuert hat.

Nun besteht wieder akuter Handlungsbedarf: Große gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderungen treffen auf ein Bildungssystem, das mit den schnellen Veränderungen nicht mehr mithalten kann. In den nächsten 15 Jahren besuchen die Kinder und Jugendlichen die Schulen und Hochschulen, die als Erwachsene Deutschland bis Ende dieses Jahrhunderts gestalten werden. Von ihnen hängt viel ab, natürlich unser Wohlstand, unsere Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft. Sie werden aber auch dafür verantwortlich sein, gesellschaftlichen Zusammenhalt und eine starke Demokratie zu sichern.  Wir müssen uns dafür einsetzen, dass diese jungen Menschen die notwendigen Kompetenzen haben, um diese Herausforderungen zu lösen.

Kurz vor Weihnachten hat uns PISA erneut vor Augen geführt, dass wir im internationalen Vergleich nicht mithalten. Bis 2035 werden voraussichtlich bis zu 70.000 Lehrkräfte fehlen, und im MINT-Bereich gibt es einen großen Fachkräftemangel. Wir denken: Ein "Weiter so" ist nicht die richtige Antwort.
 

Wenn Sie das Bildungssystem in Deutschland 2024 mit drei Adjektiven beschreiben müssten, welche würden Sie wählen?

Überlastet, vielfältig und unglaublich reich. Reich an Ideen, Menschen und Initiativen, die seine Zukunft gestalten wollen.

 
Der Stifterverband bringt jetzt die Zukunftsmission Bildung an den Start – eine Initiative, die nachhaltig die Bildungslandschaft in Deutschland verändern soll. Zentraler Ansatz ist dabei die Kooperation von Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Staat und Bildungseinrichtungen.  Was erwarten Sie von den jeweiligen Akteuren: Was muss der Staat, muss die Wirtschaft besser machen, und welche Rolle kann die Zivilgesellschaft respektive können die Stiftungen dabei spielen?

Vom Staat wünschen wir uns mehr aktiven Veränderungswillen statt reaktiver Maßnahmen. Während Corona haben wir gesehen, wie sehr das Krisenmanagement in den Schulen und Hochschulen vom Engagement Einzelner abhing. Es gibt viele großartige Leuchtturmprojekte, die hervorragend funktionieren, die im System gedeihen konnten und wirken. Diese Projekte zu fördern, wahrzunehmen, schnell und mit Experimentierfreude förderliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um sie als gute Praxis in die Breite zu tragen – das ist die Rolle des Staates.

Die Wirtschaft kennt den Bedarf an Fachkräften und weiß, was wir für unsere Innovationskraft und Wohlstand brauchen, und ihre Stimme hat großes Gewicht. Die Unternehmen engagieren sich schon heute regional und in übergreifenden Netzwerken. Und natürlich hat die Wirtschaft finanzielle Ressourcen, die wir ebenfalls brauchen. Die Vorstandsunternehmen des Stifterverbandes sind die Initiatoren der Zukunftsmission, die mit uns gemeinsam auch andere einladen, aktiv zu werden, sich zu engagieren.

Stiftungen sind essenziell für die Zukunftsmission, sie engagieren sich mit großer Motivation und Überzeugung schon so lange für die unterschiedlichsten wichtigen Themen im Bereich der Bildung: Wir haben laut der Erhebung unseres Think Tanks ZiviZ fast 6.000 Stiftungen in Deutschland, die jedes Jahr circa 2,5 Milliarden Euro in Bildung investieren. Zweieinhalb Milliarden! Sie geben damit vielen Projekten eine Chance, die es sonst einfach nicht gäbe. Sie haben Expertise und Netzwerke, sind Türöffner und Vermittler.

Aber wir müssen erkennen, dass das gesamte Potenzial dieser Aktivitäten sich nur entfalten kann, wenn sie Teil einer gebündelten nationalen Bildungsroadmap werden, an deren Umsetzung staatliche Bildungsverantwortliche und private Akteure gemeinsam arbeiten. Daran möchten wir uns mit der Zukunftsmission Bildung beteiligen. Das braucht von allen Akteuren die Bereitschaft, Wissen miteinander zu teilen, einander zuzuhören und gemeinsam auf dasselbe Ziel hinzuarbeiten.
 

"Auch eine schwere Tür hat nur einen kleinen Schlüssel nötig", hat Charles Dickens geschrieben. Kann in der Vernetzung der Sektoren durch den Stifterverband plus einem Funken Aufbruchstimmung dieser Schlüssel liegen?

Absolut, da bin ich ganz bei Dickens. Im Kleinen hat das jeder sicherlich selbst schon erlebt: Man tüftelt an der Lösung eines Problems und hat auch Erfolgserlebnisse, aber erst, wenn man sich mit anderen zusammentut, geht es richtig voran. Wenn Bildung, Wirtschaft und gemeinnützige Organisationen zusammenarbeiten, liegt darin großes Potenzial: Sie können Ressourcen bündeln, Wissen und Erfahrungen austauschen, Lösungen entwickeln und dann gemeinsam in den Dialog mit der Politik gehen.

Das ist mir nochmal wichtig: Ziel der Zukunftsmission ist es eben auch, einen wirksamen Dialog mit der Politik zu gestalten. Dieser zeichnet sich nicht dadurch aus, dass wir nur fordern und mit dem Finger auf andere zeigen. Unsere Überzeugung: Wirkungsvoll werden wir durch fokussierte gemeinsame Empfehlungen, die der Politik Orientierung für das eigene Handeln geben, durch Lösungen, die Entwicklungspfade aufzeigen, durch Kooperation mit relevanten Beratungsgremien und durch das Nutzen unterschiedlicher Zugänge zur Politik. Und gerade hier können wir gemeinsam mit anderen mehr erreichen.

 
Trifft die Zukunftsmission auf einen neuen Trend zur Kooperation in der Gesellschaft?

Wir sehen insgesamt eine größere Bereitschaft, sich zusammen zu tun, beispielsweise an den recht jungen Initiativen "Neustart Bildung Jetzt" oder der Initiative für Bildungsgerechtigkeit, in denen der Stifterverband mitwirkt.

Ich glaube, der Fokus auf klare gemeinsame Ziele hat die Kraft, Partner zusammen zu bringen.  Wir wollen uns nicht verheben und fokussieren daher auf vier wichtige Herausforderungen: Lehrkräftemangel bekämpfen, Bildungspotenziale heben, MINT-Fachkräfte sichern und Zukunftskompetenzen in den Hochschulen verankern. Um diese Herausforderungen zu lösen, laden wir ein, sich mit uns gemeinsam in vier starken Umsetzungsallianzen zusammen zu tun. Ein kleiner Schlüssel mag eine schwere Tür aufschließen, zum Öffnen braucht man aber vor allem auch Kraft.
 

Die Zukunftsmission setzt sowohl in der Schul- wie in der Hochschulbildung an. Verkürzt will der Stifterverband in der Schule mit einem Masterplan für Lehrkräftebildung den Lehrkräftemangel halbieren und dafür sorgen, dass vor allem im Sekundarbereich die Kooperation von Schulen und außerschulischen Partnern wächst. Was bedeutet das genau, und an welcher Stelle können Stiftungen partizipieren?

Nehmen wir das Beispiel der Allianz für Schule Plus: Die Schulen allein können durch die vielen Anforderungen Kinder und Jugendliche in ihrer Vielfalt nicht optimal fördern. Das zeigt sich in sowohl in geringen internationalen Spitzenleistungen als auch in sozial bedingter Bildungsungleichheit. Viele Schülerinnen und Schüler erreichen nicht einmal Mindestanforderungen in Lesen und Mathematik. Dafür wird innerhalb der Zukunftsmission Bildung die "Allianz für Schule Plus" ins Leben gerufen, die genau zur rechten Zeit kommt. Bis 2026 gilt es für die Bundesländer, den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung umzusetzen. Das ist eine große Chance – gemeinsam können wir den Ganztag als Bildungszeit gestalten – und das kostet auch nicht unbedingt mehr Geld. Es gibt hochengagierte außerschulische Bildungsinitiativen und Bildungsorte. Ziel der Allianz für Schule Plus ist es, dieses außerschulische und das schulische Lernen systemisch und flächendeckend zu verzahnen.  Wenn externe Bildungsangebote in die Schule kommen, wird das System Schule gestärkt. Die Initiativen zahlen auf konkrete Verbesserungen ein: mehr Bildungsgerechtigkeit, mehr MINT-Kompetenzen, Förderung der Leitungsstarken oder gute Berufsorientierung.  Davon kann jedes Kind profitieren.

Viele dieser außerschulischen Bildungsangebote werden von Stiftungen und Bildungsbegeisterten ermöglicht. Beispiele sind die Stiftung Kinder forschen, die Hacker School oder auch die vielen Schülerforschungszentren oder Schülerlabore. Sie sind sehr wichtig für diese Allianz, kennen Herausforderungen und Gelingensbedingungen. Wir brauchen ihre Expertise: Sie können ihr Wissen weitergeben und an Austausch- und Beratungsformaten teilnehmen. Wir können gemeinsam daran arbeiten, ihre Initiative in die Breite zu bringen. Auch als Netzwerker sind sie gefragt: Vielleicht hat eine Stiftung Kontakte zu einem Dutzend Schulen in Rheinland-Pfalz, die wir für ein Pilotprojekt ansprechen sollten? Sie können eigene Initiativen in die Allianz einbringen, die wir sichtbar machen, sie können Förderpartnerschaften beispielsweise für Studien, Veranstaltungen, Jurymitgliedschaften oder Publikationen übernehmen. Und natürlich können sie uns kommunikativ unterstützen, sich als Fürsprecher für die Zukunftsmission, die Allianz oder einzelne Projekte engagieren und uns im Gespräch mit der Politik unterstützen.
 

An den Hochschulen sollen mehr Studierende mit MINT-Kompetenzen die Hochschulen verlassen, internationale MINT-Studierende für den Arbeitsmarkt gewonnen werden und die sogenannten Future Skills fächerübergreifend vermittelt werden. Welchen Input können Stiftungen hier geben?

Die Mittel und Wege der Partizipation sind hier ähnlich wie in den beiden anderen Allianzen. Der MINT-Fachkräftemangel ist vielen Menschen präsent: Hier müssen wir es schaffen, vor allem Mädchen und Frauen stärker zu fördern und ausländische MINT-Studierende in den deutschen Arbeitsmarkt zu bringen. Der Begriff Future Skills ist für viele vielleicht noch neu. Future Skills sind Fähigkeiten, die in den kommenden fünf Jahren für die Arbeitswelt und das persönliche Leben an Bedeutung gewinnen: Das sind klassische Kompetenzen wie Resilienz und interkulturelle Kommunikation, aber auch technische und digitale Kompetenzen, aktuell beispielsweise der Umgang mit Daten oder KI. Studierende müssen diese Kompetenzen erwerben, können das aber natürlich nur, wenn Hochschulen die Themen in ihre Lehre integrieren, sich also stetig anpassen an neue Bedarfe. Stiftungen sind bereits in den unterschiedlichen Future-Skills-Programmen des Stifterverbandes aktiv, fördern finanziell und gestalten Programme mit, zum Beispiel auf den Podien von Veranstaltungen – an diese Vorarbeit knüpfen wir an. Wer sich mit diesen Themen beschäftigt, komme am besten auf uns zu.
 

An wen können sich interessierte Stifterinnen und Stifter wenden? 
Ein guter erster Einblick und die Ansprechpersonen zu den Allianzen finden sich auf unserer Website www.zukunftsmission-bildung.de.

 

 
Welche Meilensteine können bis 2030 erreicht werden, und welche Vision verfolgt der Stifterverband darüber hinaus?

Wir haben uns für jede Allianz ein konkretes Ziel gesetzt, das wir bis 2030 erreicht haben wollen, zwei für den Bereich Schule, zwei für das Hochschulsystem. Wir wollen dazu beitragen, die Lehrkräftelücke zu halbieren – also statt der prognostizierten 68.000 sollen es dann 34.000 offene Stellen sein. Wir arbeiten außerdem darauf hin, dass durch mehr und erfolgreiche Kooperationen von Schulen im Sekundarbereich mit außerschulischen Partnern ein neuer Bildungsraum für alle Schülerinnen und Schüler entsteht, dass sich die Kooperationen also von aktuell 1.200 auf 4.000 erhöhen. Wir brauchen mehr Absolventinnen und Absolventen mit MINT-Kenntnissen, ihr Anteil soll um fünf Prozentpunkte von 35 auf 40 Prozent steigen. Und wir brauchen mehr Hochschulen, die KI-Kompetenzen und Future Skills an alle Studierenden vermitteln. Aktuell tut das nur jede zehnte. Wir arbeiten darauf hin, dass es 2030 schon jede dritte wäre. Für diese vier Ziele bedarf es viele kleine und größere Schritte. Oft braucht es auch eine Veränderung der Rahmenbedingungen, manchmal nur den konkreten Dialog mit den Ländern, oder das Weitertragen von Erfolgsbedingungen.

Der Stifterverband möchte gemeinsam mit seinen Partnern das Bildungssystem befähigen, schnell mehr Menschen mit den notwendigen Kompetenzen aus- und weiterzubilden. Am Beispiel von Picht haben wir aber auch gesehen, wie sich Herausforderungen verändern können und eine neue Fokussierung, neue Allianzen und neue Ziele erfordern. Meine langfristige Vision ist daher, dass wir mit der Erfahrung aus der Zukunftsmission schnell und flexibel – falls nötig – immer wieder neue Allianzen schmieden können, um gemeinsam Probleme zu lösen.
 

Welche drei Adjektive würden Sie dem Bildungssystem im Jahr 2030 beziehungsweise 2050 dann gerne geben?

Zukunftsorientiert, chancengerecht, flexibel.

 

Andrea Frank (Foto: Damian Gorczany)
Foto: Damian Gorczany

ZUR PERSON

Andrea Frank ist stellvertretende Generalsekretärin und Mitglied der Geschäftsführung des Stifterverbandes.